Tage wie diese 

Ausstellungsansicht »Läuft«, Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, Foto: Christian Krug
MuseumsJournal 1/24
Die Menstruation – wiederkehrend lästig und mit zahllosen Vorurteilen belegt. Damit wird jetzt aufgeräumt, und das macht auch noch Spaß 

Vieles an der Periode scheint selbstverständlich zu sein. Doch der Schein trügt – selbstverständlich ist weder die Tatsache, dass der Mensch als eine von wenigen Spezies überhaupt menstruiert, noch die Regelmäßigkeit, mit der sich die Periode Monat für Monat einstellt. Auch das Wissen über die körperlichen Vorgänge ist es nicht, so wenig wie die Menstruationsprodukte, die uns heute zur Verfügung stehen. Mit »Läuft. Die Ausstellung zur Menstruation« öffnet das Museum Europäischer Kulturen (MEK) den Blick für all das, was nur zeit- und ortsgebunden selbstverständlich scheint, und das, was auch ganz anders sein könnte. 

Das beginnt bei den Menstruationsprodukten selbst: Deren Geschichte ist länger, als man annehmen mag, und zugleich erstaunlich kurz. Der Markt dafür entstand im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als die ersten Menstruationsprodukte patentiert und verkauft wurden. Von Anfang an waren Frauen als Erfinderinnen, Ärztinnen und Unternehmerinnen daran beteiligt, neue Produkte zu entwickeln und zu vermarkten. Manche hatten damit Erfolg, manche waren ihrer Zeit weit voraus, und manchen legte die Gesellschaft bei der Umsetzung Steine in den Weg. 

Als alltagskulturelles Museum befasst sich das MEK insbesondere mit der materiellen Kultur der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart. Betrachtet man die Entwicklung der Menstruationsprodukte über die Jahrzehnte hinweg, fällt auf, dass diese alles andere als linear ist. Nicht jede neue Erfindung setzte sich durch, manche erst nach Jahrzehnten. Schon im 19. Jahrhundert gab es bereits fast alles, was wir heute kennen, aber in etwas anderer Form: Die ersten »Menstruationstassen« auf dem US-amerikanischen Markt ähnelten zwar den heutigen, waren aber umständlich an einer Art Tragegurt befestigt. Die frühen Wegwerfbinden deutscher Hersteller enthielten als saugfähiges Material Holzwolle oder Moos. Auch sie mussten an Gürteln befestigt werden – denn Unterhosen, wie wir sie heute kennen, gab es noch nicht. Die Periodenprodukte belegen, dass es um mehr als das Auffangen von Menstruationsblut ging. Sie erfordern besondere Handlungen im Alltag, bestimmen die Art, wie wir uns kleiden und bewegen, und bringen neue Alltagsgegenstände hervor, wie den sogenannten Hygienemülleimer mit einer besonderen Deckelklappe. 

Der Umgang mit dem Müll, den wegwerfbare Menstruationsprodukte erzeugen, ist eines der Themen des zweiten großen Ausstellungsbereichs. Darin geht es um die Diskurse, die die Menstruation begleiten. Denn seit sich Menschen mit der Menstruation beschäftigen, gibt es Theorien dazu und Annahmen, was die Menstruation für Menstruierende bedeutet oder bedeuten sollte und wie der richtige Umgang damit auszusehen hat. Und auch hier ist nichts selbstverständlich oder einfach. Ob es nun um Normalität geht, um Aufklärung, Stimmung, Leistungsfähigkeit oder andere Themen – in all diesen Bereichen gab und gibt es unterschiedliche Ansichten, von denen keine die einzig richtige ist, sondern die sich als mögliche Haltungen in Zeit und Ort wandeln oder nebeneinander bestehen. Kennzeichnend für sie alle ist, dass sie mit Ansprüchen und Anforderungen an Frauen einhergehen – und zu oft auch mit manifesten Nachteilen. Betrachtet man etwa die Frage nach der Leistungsfähigkeit oder der Schonungsbedürftigkeit Menstruierender, so fällt auf, dass jedes Jahrzehnt mit eigenen, zum Teil konträren Ansichten aufwarten konnte. Der sogenannte »Menstruationsurlaub« etwa, die Möglichkeit einer menstruationsbedingten Auszeit, die heute als Teil progressiver Unternehmensführung gilt und Anfang 2023 in der spanischen Regierung zu heißen Debatten führte, wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts erwogen. Damals allerdings waren es gar nicht so fortschrittliche Ärzte, die bürgerlichen Frauen ein paar Tage Auszeit jeden Monat empfahlen und damit begründeten, weshalb Frauen sich für das universitäre Studium nicht eigneten.  

Am eindeutigsten sind die gesellschaftlichen Folgen in Bezug auf das Tabu. Zwar gilt auch hier: Von einem einzigen, universalen Tabu kann nicht die Rede sein. Und auch für die letzten Jahrzehnte lassen sich verschiedene Bewegungen konstatieren. So werben seit ein paar Jahren Firmen zunehmend damit, endlich, als einzige, und zwar wirklich das Menstruationstabu zu brechen. Zugleich bezeichnete eine große deutsche Zeitschrift die Menstruation schon in den 1970er-Jahren als das letzte Tabu, das gerade gebrochen würde. Insgesamt herrscht aber weiterhin eine Sprachlosigkeit vor, die dafür sorgt, dass Menstruierende dem Arbeitgeber Schmerzen lieber verschweigen oder Freundinnen nur hinter vorgehaltener Hand nach Tampons fragen. Diese Sprachlosigkeit ist kein privates Problem, sondern schlägt sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen nieder. Dass der Forschungsmangel in Bezug auf die Menstruation eklatant ist, dürfte spätestens mit dem Aufkommen der Debatte über Endometriose ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen sein.  

Zu den Selbstverständlichkeiten in Bezug auf die Menstruation gehört dementsprechend auch, dass nur vermeintlich alle Tatsachen bekannt sind. Doch schon bei den grundlegenden Fakten fehlt Wissen: Wie groß ist der Blutverlust wirklich? Was ist eigentlich ein durchschnittlicher Zyklus? Bekanntes vermittelt das MEK in der Ausstellung anhand von Schaubildern. Eine Gynäkologin erläutert im Interview den aktuellen Wissensstand und die Forschungslücken. Auch falsche Theorien spielen in der Ausstellung eine Rolle – von Ärzten, Psychologinnen und Forschenden vertretene Ansichten, die wissenschaftlich als State of the Art der Zeit galten, sich später jedoch als unhaltbar erwiesen. Berühmtestes Beispiel ist das sogenannte Menotoxin, das Periodengift, das der Arzt Béla Schick 1920 angeblich nachgewiesen hatte. Es sollte dafür verantwortlich sein, dass Blumen welken und Speisen verderben. Die Studie war mangelhaft, diente Zeitgenossen aber als Bestätigung dafür, dass man Frauen von bestimmten Tätigkeiten ausschließen sollte.  

Auch wenn das Thema »Menstruation« manchen nach wie vor als heikel gilt, die Ausstellung  kann/soll Spaß machen. Dafür sorgen unter anderem Hands-On-Stationen, wie die, an der sich »Wäsche für besondere Zeiten« aus dem frühen 20. Jahrhundert anprobieren lässt. Das sorgt für Rätselraten bei der Frage, wo denn vorne und hinten ist und wofür die vielen Bänder und Knöpfe dienen. Ausschnitte aus Filmen und Musikvideos, Kunstwerke und Comedy bringen ebenfalls zum Lachen, regen zum Nachdenken und zum Austausch an. Auch an anderen Stationen ist Mitwirkung gefragt: Sind wirklich alle Menstruierenden vor dem Einsetzen der Menstruation schlecht gelaunt und wie geht es mir da? Finde ich es gut, dass es nun ein Perioden-Emoji gibt, oder eher überflüssig? Und welche Geschichte wollte ich schon immer erzählen? 

Das wichtigste Ziel der Ausstellung ist es, einen Gesprächsanlass zu bieten. Das hat zur Überraschung von uns Kuratorinnen bereits im Vorfeld funktioniert: Auf die Ankündigung der Ausstellung reagierte das Gegenüber oft unmittelbar mit einer Geschichte, mit eigenen Erfahrungen, die zum Teil Jahrzehnte zurücklagen. Auch in der Ausstellung lässt sich das seit der Eröffnung beobachten: Besucherinnen und Besucher bleiben über Stunden, teilen Erfahrungen und Ideen, kommen mit anderen ins Gespräch. Und auch wenn das MEK verachtende Mails bekommt, was dieses Thema denn in einem Museum zu suchen hätte: Allein die vielen Gespräche, die bereits angestoßen wurden, zeigen, wie notwendig die Ausstellung ist.  

 

TextJana Wittenzellner, stellvertretende Direktorin

 

»Läuft. Die Ausstellung zur Menstruation«
bis 16. Oktober 2024
Museum Europäischer Kulturen

 

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