Schön wie Aphrodite, schrecklich wie Medusa?

Kopf der Penelope, römische Kopie eines griechischen Originals aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.
Kopf der Penelope, römische Kopie eines griechischen Originals aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. © Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung, Foto: Universität zu Köln, Archäologisches Institut, CodArchLab, 2270 FA-SPerg000522-01, Philipp Groß
Museumsjournal 2/24
Stereotype prägten das Bild der Frau in der antiken Mythologie, die bis heute fasziniert. Das Alte Museum wagt sich an eine differenzierte Betrachtung

Antike Mythologie fasziniert bis heute: Dies zeigt sich unter anderem an einem regelrechten Boom von Neuerzählungen auf dem aktuellen Buchmarkt, unter denen die Schicksale mythischer Frauen besonders beliebt sind. Die Figuren erhalten eine eigene Stimme und schaffen so eine neue Lesart von Geschichten, die bislang vor allem durch Autoren der männlich geprägten antiken Gesellschaft überliefert sind. Ebenfalls männlich dominierte Altertumswissenschaften des 19. und großer Teile des 20. Jahrhunderts verstärkten in vielen Fällen eine einseitige Wahrnehmung, auch der materiellen Zeugnisse. Die Aktualität antiker Stoffe inspirierte dazu, die Göttinnen und Heldinnen im Bestand der Berliner Antikensammlung erneut in den Blick zu nehmen.

 

Von lebensgroßen Skulpturen bis zu kleinen Schmuckstücken, von den berühmtesten Göttinnen wie Aphrodite bis zu weniger bekannten Heldinnen wie Atalante – in der Dauerausstellung des Alten Museums sowie den Depots der Antikensammlung finden sich zahlreiche Objekte, bei denen sich ein erneutes Hinschauen lohnt. Welche Geschichten erzählen sie und wie blicken wir heute auf sie?

 

Das Besondere an den Mythen ist: Es gibt nicht die eine richtige, festgelegte Erzählweise. Bereits in der Antike waren es veränderbare Geschichten aus der Vorzeit, die identitätsstiftend für aktuelle Gesellschaften wirkten. Entsprechend sind Mythen und ihre Bilder stets vor dem Hintergrund der jeweiligen, hier der antiken Lebenswelt zu betrachten. Sie entstanden in einer grundsätzlich binär gedachten und männlich geprägten Gesellschaft mit entsprechenden Rollenbildern. Für Frauen implizierte dies oft Unterordnung. Doch mythologische Frauenfiguren halten sich nur teilweise an diese Normen. In drei Themenfeldern geht die Ausstellung der Einordnung ausgewählter Göttinnen und Heldinnen in der Antike nach. Welche wurden als Vorbilder wahrgenommen und warum? Einige verhielten sich wie gewünscht und verkörperten Treue, Sittsamkeit und Fruchtbarkeit. Handelten die Frauen jedoch zu weit jenseits weiblicher Rollennormen, wurden sie zu negativen Gegenbildern gesellschaftlichen Verhaltens. Andere wiederum, wie die am meisten verehrten Göttinnen Athena, Aphrodite und Artemis, überschritten jede auf ihre Art normative Grenzen und waren diesen offenbar nicht unterworfen, wie ihre Statuen in der Schau verdeutlichen.

 

Zu den traditionellen Vorbildern gehört Penelope, die Frau des Odysseus. Sie galt stets als die perfekte Ehefrau, weil sie zwanzig Jahre lang treu auf die Rückkehr des Helden aus dem Trojanischen Krieg und von seinen Irrfahrten wartete. Schon die antiken Quellen lobten sie dafür. In der Odyssee ist Penelope als vorbildlich treu charakterisiert, allerdings stehen dabei griechische Begriffe wie »periphron« (klug) und »echephron« (vernünftig) im Vordergrund. Ein verbreitetes Bildschema in der antiken Kunst zeigt sie sitzend, mit auf einer Hand abgestütztem Kopf. In der Forschung interpretierte man(n) sie als eine vor Enttäuschung um ihren Ehemann weinende Frau. Könnte sie nicht vielmehr in Überlegungen versunken sein und rational über ihren nächsten Schritt nachdenken? Das Bild lässt auch diese Deutung zu – ein Mann in dieser Haltung wäre vermutlich von Anfang an so beschrieben worden. War hier die Antike vielleicht doch offener, als es heutige Vorurteile – geprägt durch lange Forschungstraditionen – zulassen?

 

Starke, dominante und kämpfende Frauen galten als männlich. Sie verletzten die traditionellen Geschlechterrollen und wurden schnell zu negativen Gegenbildern, doch auch hier sind die Grenzen keineswegs so klar. Scheinbare Gegenbilder können ebenso vielschichtige Botschaften enthalten. Das zeigt in der Ausstellung das Beispiel der lydischen Königin Omphale. Sie überschritt die geschlechtsspezifischen Verhaltensnormen, als sie Herakles – den griechischen Helden par excellence – ihrer Macht unterwarf und »Frauenarbeiten« verrichten ließ. Als Zeichen dieses Rollentauschs eignete sie sich seine Attribute Löwenfell und Keule an. So sprengte sie eigentlich den Rahmen antiken weiblichen Verhaltens. Doch in dieser Gestalt erscheint sie auch auf römischen Schmucksteinen (Gemmen). Der unbekleidete Körper Omphales, »schön wie Aphrodite«, verbindet sich mit den machtvollen heroischen (und männlichen) Attributen. Weibliche erotische Attraktivität – akzeptiert in der männlich geprägten antiken Gesellschaft – trifft auf vermeintlich männliche Dominanz: Ein Ausweg aus dem traditionellen Frauenbild? Von Frauen getragen, konnte die Gemmen durchaus als Chiffre weiblicher Ermächtigung wahrgenommen werden.

 

Zu den vermeintlich eindeutigen Gegenbildern des Mythos zählt Medusa: Nach einem sexuellen Übergriff durch Poseidon verwandelte Athena die junge Gorgone zur Strafe in ein schlangenhaariges Monster, dessen Blick jeden versteinerte – ein Bild radikalen Schreckens. Doch war Medusa wirklich nur dieses Ungeheuer? Schon die antiken Zeugnisse zeichnen ein differenzierteres Bild, und heute erscheint die Figur in einem ganz anderen Licht. Die Erweiterung der Ausstellung um rezeptions- und deutungsgeschichtliche Perspektiven regt an, Fragen zu stellen und Problematiken wie die sexualisierte männliche Gewalt in vielen Mythen sensibel zu benennen. Es geht um differenziertere Lesarten jenseits der Stereotype und binären Geschlechterordnung. Medusa beispielsweise wurde ab den 1980er-Jahren vom männermordenden Monster zu einem feministischen Vorbild weiblicher Selbstbestimmung. Frauen im antiken Mythos können auch heute noch vielschichtig als Identifikationsfiguren dienen.

 

Text – Annegret Klünker, wissenschaftliche Museumsassistentin in der Antikensammlung

 

»Göttinnen und Gattinnen. Frauen im antiken Mythos«

24. Mai 2024 bis 16. März 2025

Altes Museum

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