Verschlungene Wege
Wie Werke von Lovis Corinth im 20. Jahrhundert nach Berlin kamen und wieder verschwanden. Eine beispielhafte Sammlungsgeschichte
Zum hundertsten Todestag von Lovis Corinth beleuchtet die Alte Nationalgalerie das Schicksal der Werke des Künstlers und seiner Frau, der Malerin Charlotte Berend-Corinth. Im Fokus steht die Provenienz der Bilder, die über einen Zeitraum von fast hundert Jahren als Geschenke, Ankäufe oder Tauschobjekte in die Nationalgalerie gelangten. Anhand ihrer Geschichten, die eng mit den Biografien der ehemaligen Eigentümer*innen verbunden sind, wird auch eine Sammlungsgeschichte im 20. Jahrhundert erzählt.
Lovis Corinth (1858–1925) war ein Maler, der sich den Stilepochen seiner Zeit nicht eindeutig zuordnen lässt. Neben Max Liebermann und Max Slevogt gilt er als Vertreter des deutschen Impressionismus. Gleichzeitig weist sein Stil auf den Expressionismus hin. Mit über zwanzig Gemälden, die zwischen 1899 und 1925 entstanden, besitzt die Nationalgalerie einen bedeutenden Bestand des Malers. Charlotte Berend-Corinth (1880–1967) ist mit vier Gemälden vertreten.
Ein Hauptbezugspunkt der Ausstellung ist der Nationalsozialismus, konkret das Jahr 1937, als NS-Propagandaminister Joseph Goebbels die Beschlagnahmeaktion »Entartete Kunst« in Gang setzte. Zu diesem Zeitpunkt besaß die Nationalgalerie neben einer Reihe von Aquarellen und Zeichnungen 16 Gemälde Corinths und zwei von Charlotte Berend-Corinth. Zwölf seiner Ölbilder wurden 1937 beschlagnahmt, drei 1939 überraschenderweise zurückgegeben, andere konnten später zurückerworben werden. Manche Bilder wurden nicht konfisziert, andere nach der Beschlagnahmung ins In- und Ausland verkauft. Der Begriff »entartet« war nicht eindeutig definiert. Gerade bei Corinth und seiner Ehefrau wird das willkürliche und widersprüchliche Vorgehen deutlich, das sich aus Modernehass, ästhetischer Intoleranz und antisemitischer Motivation speiste und die ideologische Grundlage der Konfiszierungen bildete. Die zwölf beschlagnahmten Gemälde des zuvor anerkannten Künstlers stammen aus allen Schaffensphasen. Die Bilder von Charlotte Berend-Corinth, die einen jüdischen Hintergrund hatte, verblieben im Museum, während ihr Gemälde »Toledo« 1939 der Nationalgalerie als »Verfalls- und Judenkunst« zur Verwahrung übergeben wurde. Im selben Jahr emigrierte die Künstlerin von der Schweiz aus in die USA.
Die Ausstellung zeigt Gemälde, die 1937 nicht beschlagnahmt wurden, dazu drei aus unbekannten Gründen zurückgegebene Werke, darunter das in der Propagandaausstellung in München gezeigte »Trojanische Pferd«, sowie Bilder, die während des Nationalsozialismus vom Museum erworben werden konnten. Neun Corinth-Gemälde der Nationalgalerie kehrten nach dem Ende des Nationalsozialismus nicht mehr zurück, zwei davon sind seit 1945 verschollen. Sie werden schwarz-weiß in Originalgröße wiedergegeben. In Farbe reproduziert sind die Bilder, die sich nach der Beschlagnahme 1937 heute in anderen Sammlungen befinden.
Corinth blieb nach dem Zweiten Weltkrieg über die deutsch-deutsche Grenze hinweg populär. So sind Gemälde einander gegenübergestellt, die während der deutschen Teilung die Sammlungen in Ost und West bereicherten. Während die Nationalgalerie in West-Berlin gut mit Werken Corinths ausgestattet war, versuchte das Stammhaus im Osten, den Totalverlust auszugleichen. In den 1950er-Jahren und noch einmal in den 1980er-Jahren verzeichnete man dort je drei Neuzugänge. Zwei Werke kaufte die DDR interessanterweise in der BRD an, darunter »Der geblendete Simson«.
Auch im Westen sammelte man weiter, jedoch nicht die dortige Nationalgalerie, die erst 1986 ein weiteres Gemälde von Corinth erwarb, sondern die vom Land Berlin getragene Galerie des 20. Jahrhunderts. Diese Bilder wurden zur Eröffnung 1968 in die Neue Nationalgalerie gegeben. Lovis Corinth war in den Nationalgalerien beider deutscher Staaten vertreten, Charlotte Berend-Corinth bis 1982 hingegen nur im Osten. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden beide Nationalgalerien zusammengeführt. Die 1937 beschlagnahmten Werke »Rosa Rosen« und »Walchensee mit Lärche« konnten zurückerworben werden und werden gemeinsam mit zwei nach 1989 gekauften Bildern präsentiert. Zeichnungen und Druckgrafiken aus dem Kupferstichkabinett von Corinth und seiner Frau runden die Ausstellung ab. Die Zeitgeschichte prägte auch deren Erwerbungen. Die Ausstellung entstand in einer Kooperation der Alten Nationalgalerie mit dem Kupferstichkabinett sowie dem Zentralarchiv, wo die Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu Berlin angesiedelt ist.
Text – Sven Haase, Kurator und Provenienzforscher Europäische Kunst am Zentralarchiv
Im Visier! Lovis Corinth, die Nationalgalerie und die Aktion »Entartete Kunst«
18. Juli bis 2. November 2025
Alte Nationalgalerie
smb.museum