Paris, anno 1867

Claude Monet, »Quai du Louvre«, 1867
© Kunstmuseum Den Haag – bequest Mr. and Mrs. G.L.F. Philips-van der Willigen, 1942
Museumsjournal 4/24
Stadt im Werden: Warum der Impressionist Claude Monet die Metropole der Moderne malte

Es war ein ereignisreiches Jahr in der französischen Hauptstadt: 1867. Paris war Gastgeber der Weltausstellung mit rund zehn Millionen Besuchern, 41 teilnehmenden Ländern und mehr als 50.000 Ausstellern. Hier konnten nicht nur ägyptische Mumien und Nachbildungen antiker Tempel bestaunt, sondern auch brandneue Erfindungen wie die Schreibmaschine oder der hydraulische Aufzug entdeckt werden. Nichts beeindruckte jedoch mehr, als der eigene Beitrag Frankreichs zur Schau: Die Stadt Paris hatte sich im Vorfeld der Weltausstellung in rasender Geschwindigkeit verwandelt.

1852 begann Kaiser Napoleon III. – ab 1853 unter der Leitung seines Stadtpräfekten Baron Haussmann – einen Großteil der Stadt dem Erdboden gleichzumachen, um sie zu einer modernen Metropole umzugestalten. Das umfangreiche Erneuerungsprojekt war dringend erforderlich. Die noch weitgehend mittelalterlich und barock geprägte Stadt war durchzogen von engen und verwinkelten Straßen, die nicht genügend Wohnraum für die wachsende Stadtpopulation boten, den Verkehrsfluss behinderten und ermöglichten, bei Aufständen Barrikaden zu errichten. Katastrophale hygienische Zustände und eine schlechte Wasserversorgung hatten häufig wiederkehrende Epidemien mit zahlreichen Opfern unter der Bevölkerung zur Folge.

So knüpfte Louis Napoleon an die Pläne seines berühmten Onkels Napoleon I. an und gestaltete die Stadt in ästhetischer wie funktionaler Weise grundlegend um. Haussmann – auch »artiste démolisseur« genannt – verlieh Paris sein bis heute charakteristisches Stadtbild mit den stilistisch homogenen Häusern aus Kalksandstein auf den breiten schnurgeraden Boulevards. Er ließ rund 20.000 Häuser abreißen und 300.000 neue Gebäude errichten, auch wurden 80.000 Bäume gepflanzt und Abwasserleitungen mit einer Gesamtlänge von 500 Kilometern gelegt. Die neue Infrastruktur von Straßenlaternen bis hin zu einem neuen Abwasser-, Verkehrs- und Transportsystem machten die französische Hauptstadt zu einer modernen Metropole des Industriezeitalters. Paris wurde zum Modellfall für viele europäische Großstädte und nach den Worten Walter Benjamins zur »Hauptstadt des 19. Jahrhunderts«. 1867 war die Transformation noch nicht abgeschlossen, aber schon weit fortgeschritten, sodass die Fassade der Opéra Garnier – eines der neuen Glanzstücke im Stadtbild – feierlich ein- geweiht werden konnte.

In jenem Frühjahr, mehr als einen Monat nach Eröffnung der Weltausstellung, hatte am anderen Ufer der Seine, ungefähr dreieinhalb Kilometer vom Ausstellungsgelände entfernt, der junge und nach Erfolg strebende Claude Monet auf dem Ostbalkon des Louvre Stellung bezogen. Sein Künstlerausweis erlaubte es ihm, im Louvre zu malen, doch er hatte ehrgeizigere Pläne. In einem Brief, den er Ende April an den Museumsdirektor Émilien de Nieuwerkerke gerichtet hatte, bat er offiziell um Zugang zum Balkon, um »Ansichten von Paris« zu malen. Seine Bitte wurde gewährt, mit dem Ergebnis, dass Monet drei Stadtlandschaften fertigstellte: eine Ansicht der Kirche Saint-Germain-l’Auxerrois, eine der Zierrasenflächen und Blumenbeete des Jardin de l’Infante sowie eine vom Quai du Louvre, der geschäftigen Uferstraße zwischen dem Museum und der Seine. Es waren Monets erste Pariser Stadtansichten, und er war damit einer der ersten Künstler, der die haussmannisierte Stadt mit ihren neu angelegten Sichtachsen und Perspektiven als ein neues Motiv erkannte. Heute befinden sich die Werke »Saint Germain l’Auxerrois«, »Quai du Louvre« und »Jardin de l’Infante« in der Sammlung der Nationalgalerie, im Kunstmuseum Den Haag und im Allen Memorial Art Museum am Oberlin College (Ohio, USA). Eine Kooperation der drei Häuser ermöglicht nun die erste Wiedervereinigung der Serie in Europa seit ihrer Entstehung.

Monets Blick vom Balkon war symbolträchtig. Während seine Kollegen ihr Handwerk erlernten, indem sie im Inneren des Museums fleißig Sammlungswerke kopierten, drehte der junge Monet den alten Meistern wortwörtlich den Rücken zu, um das moderne Leben auf der Straße darzustellen. Haussmanns räumliche Veränderungen sind in Monets Stadtlandschaften nachzuvollziehen. In den Jahren vor 1867 gestaltete der Stadtplaner in großem Umfang die Gegend um den Louvre um. Wie sich auf zeitgenössischen Fotografien nachvollziehen lässt, wurde das Areal zwischen Museum und Saint-Germain-l’Auxerrois geräumt, sodass Monet nun auf einen schönen Platz mit blühenden Kastanienbäumen herabblickte. Auch die neben der Kirche aufragenden, neu erbauten großen Mietshäuser machen das Bild zu einem gegenwärtigen Kunstwerk.

In seinen ersten Stadtansichten ergründete Monet den malerischen Wert der neuen Stadt. Im Sinne der impressionistischen Bewegung, die als solche 1874 erstmals gemeinsam ausstellte, zeichnet sich bereits seine Serie von 1867 durch deren typische Merkmale aus. Revolutionär ist auch seine Wiedergabe des urbanen Lebens in der von Haussmann »aufgeräumten« und begrünten Stadt. In den Bildern wird die Menschenmasse Teil der Stadt. Mit flüchtigen, präzise gesetzten Pinselstrichen sind die Figuren in ihrer Bewegung festgehalten und unterstreichen den gegenwärtigen Eindruck der Bilder. Zola notierte 1868: »Er liebt die Ansichten unserer Städte, die grauweißen Flecken, die die Häuser vor dem hellen Himmel bilden; auf den Straßen liebt er die geschäftig in Paletots hin- und herlaufenden Menschen.« Im Gesamtklang von Sujet, Pinselduktus, Farbigkeit, Licht und Atmosphäre besteht die Modernität der Gemälde in der stimmungsvollen Wiedergabe einzelner Momentaufnahmen städtischen Lebens. Die Stadtansicht wurde in der Folge zu einem Kernthema impressionistischer Malerei.

Gerade der erhöhte Standpunkt Monets auf dem Balkon des Louvre führte zu einer neuen Perspektive, die im Folgenden vielfach nachgeahmt und gesteigert werden sollte. Gustave Caillebottes Paris-Bilder der extremen Straßenschluchten und vertikalen Blicke zeigen dies auf spektakuläre Weise. Camille Pissarro malte in den 1890er-Jahren ganze Serien mit Ansichten von Paris in wechselnden Wetter- und Lichtstimmungen zu verschiedenen Jahreszeiten und übertrug so die Prinzipien der impressionistischen Malerei auf den Stadtraum. Auch die Maler der nächsten Generation, etwa Maximilien Luce oder Henri Matisse, bauten auf diesen Erfahrungen auf. Diese Entwicklung zeichnet die Ausstellung an einigen sprechenden Beispielen nach. Werke von Künstlern wie Auguste Renoir, Johan Barthold Jongkind, Gustave Caillebotte, Camille Pissarro, Maximilien Luce und Henri Matisse sind als Zeugnis ihrer eigenen Wahrnehmungserfahrung der Großstadt zu verstehen. Die Alte Nationalgalerie lädt mit dieser Ausstellung dazu ein, die Tiefe und Bedeutung von Monets Frühwerk für das nachfolgende Kunstgeschehen zu entdecken.

Text – Josephine Hein, Referentin der Nationalgalerie und kuratorische Assistenz der Ausstellung

»Monet und die impressionistische Stadt«

bis 26. Januar 2025

Alte Nationalgalerie

smb.museum

 

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