»Humor als Gegenpol zur Macht funktioniert kulturübergreifend« – Interview mit Zasha Colah, Kuratorin der 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
Welche Rolle spielt eine Kunstbiennale in einer Gegenwart, die durch Kriege, ökonomische Krisen und Populismus zerrissen wird? Zasha Colah, die Kuratorin der 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst setzt auf Dialog und Kritik, testet Grenzen und lernt von den Füchsen.
Eine konzentrierte Atmosphäre herrscht Büro der Berlin Biennale, als Zasha Colah Ende Januar zum Interview empfängt. Architekturmodelle und Wände mit bunten Haftnotizen bezeugen die fortgeschrittenen Planungen und die logistischen Anstrengungen, die mit einer solchen Großveranstaltung verbunden sind. Ein knappes halbes Jahr vor der Eröffnung der international einflussreichen Ausstellung für zeitgenössische Kunst steigt die Spannung. Mit jeder Ausgabe erfindet sich die Biennale neu. Im besten Fall spiegelt die Schau, wo die internationale zeitgenössische Szene aktuell steht. Gar keine leichte Aufgabe in Zeiten von Spaltung und erbitterten Debatten. Während des knapp zweistündigen Gesprächs zieht Colah Bücher aus dem Regal, um literarische und theoretische Referenzen zu erläutern. Begeistert spricht die Kuratorin über die historisch aufgeladenen Räume Berlins, in denen sie starke Kunst zeigen will. Details zur Künstlerliste verrät sie allerdings nicht. Die Namen der beteiligten Künstlerinnen und Künstler werden traditionell erst kurz vor Beginn der Biennale öffentlich gemacht.
Museumsjournal: Was ist die Herausforderung beim Kuratieren einer Berlin Biennale?
Zasha Colah: Berlin ist international für seine lebendige Kunstszene und den kritischen Diskurs bekannt. Die Stadt ist dank der großen Zahl internationaler Kulturproduzent*innen, die Berlin ihr Zuhause nennen, ein echter Katalysator. Doch dieses über Generationen aufgebaute Ansehen steht derzeit auf dem Spiel. In einem polarisierten Klima ist man eher bereit, sich zu verschließen, als den Diskurs aufrecht zu erhalten. Die Herausforderung, vor der ich stehe, liegt darin, diese Fenster und Türen offen zu halten. Aber es ist auch spannend, gerade die Berlin Biennale zu kuratieren, weil ich sie unter den Biennalen sehr schätze.
Woher kommt Ihre besondere Vorliebe für die Berlin Biennale?
Normalerweise richten Hauptstädte keine Biennalen aus, weil dort ohnehin so viel kulturelles Leben stattfindet. Auch Berlin ist gesättigt mit einem Kulturprogramm auf sehr hohem Niveau. Daher muss der kuratorische Anspruch präzise und prägnant sein.
Der Berliner Fuchs wird eine Rolle spielen. Wann haben Sie Ihren ersten Berliner Stadtfuchs gesehen?
Das war 2014. Ich erinnere mich, dass wir in der Stadt unterwegs waren, um uns ein Spiel der Fußball-WM anzusehen. Plötzlich blieb ein Fuchs mitten auf der Straße stehen und schaute eine Weile herüber. Das ist eine bildhafte Erinnerung, sehr lebendig: Ich kann mich sogar an die Spitzen seines Fells vor dem Hintergrund der dämmrigen Straße erinnern.
Sie haben also den Fuchs zu einem Leitthema der Biennale gemacht?
Während dieser eindrücklichen Begegnung schien sich die Zeit zu dehnen. Die Art und Weise, wie der Fuchs mich fixierte, war wie die Begegnung mit einem Gegenüber, dem die Welt des anderen gleichzeitig fremd war. In diesem Blickwechsel lagen viel Würde und Gegenseitigkeit.
Wie lässt sich solch eine Beobachtung in ein kuratorisches Konzept übersetzen?
Als ich gebeten wurde, ein Konzept zu schreiben, half mir diese Erinnerung. Es stellt die Gegenseitigkeit von Publikum und Kunstwerk als Ereignis in den Vordergrund und beschreibt sie als eine Begegnung unter Gleichen. Ich wünsche mir, dass die Besucher*innen der Berlin Biennale nicht mit vorgefasster Meinung auf die Kunst blicken. Das ist eine Sache, die mir an Kunstwelten, die um sich selbst kreisen, nicht gefällt: Die Idee des Andersseins ist allgegenwärtig und überkompensiert. Wir haben es nicht geschafft, das zu überwinden.
Wie meinen Sie das?
Ich meine: Ja, wir sind anders. Ja, wir haben unterschiedliche Geschichten, und niemand von uns hat die Möglichkeit oder die affektive Kapazität, all diese Leben zu leben und die ganze Geschichte zu kennen. Andersartigkeit wird es immer geben. Was mich aber stört, ist, wenn wir daraus ein Vorurteil machen. Warum ist das Anderssein immer etwas, das verstanden werden muss und mit einem entsprechenden Identitätsetikett versehen wird? Muss ich wirklich alles wissen, damit ich verstehen kann? Als ob wir überhaupt in der Lage wären, unsere Nachbar*innen so gut zu verstehen. Das ist die Unterstellung, die ich bezweifle. Als ob unsere Nachbar*innen nicht anders wären als wir – aber sie sind es. Es ist schwierig, dieses Gefühl der Distanz zu überwinden. Mir ist bewusst, wie selbstverständlich ein Plädoyer für Gegenseitigkeit und Würde klingt, ich nehme diese Fragen aber als ungelöst wahr. Das spüre ich besonders bei Biennalen.
Zum Beispiel?
Jedes Mal, wenn ein Werk aus Nepal oder anderen kleinen Ländern gezeigt wird, werden diese Fragen gestellt: Wie können wir uns in das Kunstwerk hineinversetzen, ohne die Codes, die Geschichte und den künstlerischen Kontext zu kennen? Wie ist das vermittelbar? Andererseits werden solche Fragen bei einem Werk, das zum Beispiel aus dem französischen Kontext stammt, nie gestellt. So, als ob dieser Kontext hier allgemein vertraut und bekannt wäre. Ich denke, da muss sich etwas ändern
Wie haben Sie die Ausstellungsorte in Berlin gefunden?
Das hat viele Wendungen genommen. Die Füchse wurden zur Inspiration, als wir hörten, dass sie dazu neigen, sich in fest umrissenen Gebieten zu bewegen. Jedes Tier markiert das, was wir als Fuchskreise bezeichnen, Gebiete, die sie als ihr Revier begreifen. Dieser Bezug zur Stadt beeinflusste unsere Überlegungen. Wir dachten darüber nach, was der »Fuchskreis« der Biennale sein könnte.
Welche Orte schwebten Ihnen für die Berlin Biennale vor?
Ich war schon immer von den Ausstellungsorten der Berlin Biennale fasziniert. Besonders beeindruckend fand ich die 4. Berlin Biennale 2006, die entlang der Auguststraße stattfand. Ich glaube, die Idee dazu entstand, als Gabriele Horn, die ehemalige Direktorin der Berlin Biennale, den Kurator*innen von dem legendären »37 Räume Projekt« von 1992 erzählte. Viele internationale Künstler*innen waren daran beteiligt. Auf der gesamten Auguststraße wurde Kunst gezeigt, auch in Wohnzimmern und leerstehenden Geschäften. Diese Schau hat Geschichte geschrieben. Ich denke, dass die 4. Berlin Biennale bis heute wichtig geblieben ist für die Art und Weise, wie wir über Räume und Kunst in der Stadt denken.
Gab es andere Berlin Biennalen, die Sie besonders inspiriert haben?
Die 7. Berlin Biennale im Jahr 2012, kuratiert von Artur Żmijewski mit Joanna Warsza und Voina unter dem Titel »Forget Fear«. Der Anspruch war, die Geschehnisse in der Welt widerzuspiegeln, etwa die Occupy-Bewegung, die damals auf ihrem Höhepunkt war, oder das, was in den besetzten palästinensischen Gebieten passierte.
Sie werden Kunst in den Sophiensälen zeigen. Warum haben Sie diesen Ort gewählt?
Nach einer Vorführung lernte ich Jörg Bittner, einen Lichttechniker vom Radialsystem kennen und wir kamen ins Gespräch über seine frühere Arbeit an den Sophiensälen in Mitte. Das war ein Schlüsselerlebnis. Ursprünglich wurden die Sophiensäle 1905 vom Berliner Handwerkerverein als Vereinshaus gebaut. Der Verein versuchte, mit Veranstaltungen und einem Restaurant Geld zu verdienen. Dieser Ort hat eine reiche Geschichte von Versammlungen und politischen Reden. Aber hier gab es auch viele kleine Veranstaltungen, Hochzeiten, Comedy, Tanz und Training von Sportvereinen. Später fand ich heraus, dass viele der Diskussionen, die zur Gründung der Kommunistischen Partei führten, hier stattgefunden haben. Das war die richtige Art von Atmosphäre – durchdrungen von Erzählungen und Geschichten. Sie suchten demnach ein Haus mit Geschichte. Außerdem faszinierte mich, dass es 1933 einer der Orte war, der schnell von den Nazibehörden geschlossen wurde. Während des Zweiten Weltkriegs diente das Haus als Zwangsarbeitslager. Es finden sich Informationen über jüdische, niederländische, russische und ukrainische Zwangsarbeiter*innen. In einer Druckerei mussten sie Nazi-Propagandamaterial herstellen. In der DDR wurde das Haus zur Kulissenwerkstatt für das Maxim Gorki Theater. Und dann hat sich natürlich auch der Aufstieg der unabhängigen Kulturszene der 1990er-Jahre in Berlin in dieser Gegend abgespielt. Auch die Kunst-Werke, die 1991 in einer alten Margarinefabrik in der Auguststraße ihre Ausstellungstätigkeit aufnahmen, sind Teil dieser damaligen Entwicklung.
Warum ist die Geschichte des Gebäudes so bedeutsam für Sie?
Die Sophiensäle sind für mich wie eine Blaupause von Berlin. Ich wollte mit diesem Gebäude über und mit Berlin sprechen. Ich möchte die komplexe Geschichte vermitteln, die ihre Spuren an den Wänden hinterlassen hat. Besonders bedeutsam ist für mich, wie ab 1933 das kulturelle Schaffen dort verboten wurde. Wie plötzlich das geschah. Wie schnell ein lebendiger Ort der Bildung, Kultur und Politik in ein Zwangsarbeitslager verwandelt wurde. Was ist an der Kultur so bedrohlich, dass sie zurückgedrängt und zerstört werden muss? Ich wollte, dass die Künstler*innen direkt auf all dies reagieren.
Wie haben Sie die anderen Ausstellungs-orte gefunden?
Antje Weitzel, die heute als Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des Künstlerhauses Bethanien arbeitet, war damals für die Recherche der Ausstellungsorte zuständig und wusste, dass ich über all diese Schichten der Geschichte in der Stadt sprechen wollte. Auf einer Party erzählte ihr eine Freundin von dem ehemaligen Gerichtsgebäude in Moabit. Sie sehen, bei der Suche nach Orten spielen oft auch Zufälle und abendliche Gespräche eine Rolle.
Meinen Sie das 1902 erbaute ehemalige Gefängnis und Gericht in der Lehrter Straße, das seit einigen Jahren leer steht und manchmal als Drehort für Filmproduktionen wie »Babylon Berlin« genutzt wird?
Genau. Das Land Berlin plant, Teile des Gebäudes für die kulturelle Nutzung umzubauen. In der angrenzenden ehemaligen Gefängnisverwaltung und im Zellentrakt sollen rund hundert Ateliers und Musikproberäume entstehen. Die Bauarbeiten im ehemaligen Gefängnis haben bereits begonnen. Aber wir dürfen Teile des Gerichtsgebäudes für die Biennale nutzen, das Erdgeschoss und den ersten Stock. Der gesamte Komplex steht seit 2013 völlig leer, ist aber noch in einem perfekten Zustand.
Gibt es einen weiteren Ausstellungsort?
Die KW Institute for Contemporary Art sind traditionell Ausstellungsort der Berlin Biennale. Außerdem werden wir im Hamburger Bahnhof zu Gast sein und den Werkraum im Westflügel nutzen. Das Museum passt ideal zu unserer Route durch die Stadt, die einzelnen Orte sind zu Fuß gut erreichbar. Wir sind auf beiden Seiten des Flusses und bilden so einen Kreis. Auch Füchse kehren immer wieder zu ihrem Ausgangsort zurück. Wir wollten mit unserer Auswahl einen vollständigen Fuchskreis zeichnen.
Das ganze Gebiet um den Hauptbahnhof befindet sich im Wandel. War das ein Auswahlkriterium?
Die Lehrter Straße ist ein grünes Wohnviertel und schon länger auch ein Gebiet für Ateliers. Ich bin fasziniert von der Kulturfabrik Moabit, die ebenfalls dort zu finden ist – ein Veranstaltungsort für DJ-Sets, Konzerte, Theater, Kino und Ausstellungen. Die Betreiber*innen der Kulturfabrik stehen in der Tradition des Tacheles. Es gibt nichts Vergleichbares mehr in der Stadt. Wir werden für die Biennale zusammenarbeiten.
Welche weiteren Kooperationen planen Sie?
Wir werden zum Beispiel mit Eriac, dem European Roma Institute for Arts and Culture, kooperieren. Ich habe bereits 2011 mit der Direktorin Tímea Junghaus im Rahmen einer Ausstellung für die Clark House Initiative in Mumbai zusammengearbeitet. Jetzt möchte ich diese energetische und inspirierende Kooperation gerne fortsetzen.
Wie gehen die Künstler*innen mit den geschichtsträchtigen Ausstellungsräumen um?
Jeder Ort wird ein wenig anders behandelt. Was das Gerichtsgebäude betrifft, so dachte ich an die Schriften von Georg Lukács, dem ungarischen marxistischen Philosophen und Literaturwissenschaftler. Im Jahr 1920 schrieb er den Essay »Legalität und Illegalität«. Der Titel ist großartig. Mich hat fasziniert, dass Künstler*innen oft illegal handeln müssen, um zu zeigen, wie gesetzlos das System ist. Sie müssen Grenzen überwinden, und die Gesellschaft akzeptiert das. Es gibt ein gewisses Maß an Toleranz, wenn man behauptet, dass es sich um einen Scherz oder ein Kunstwerk handle. Künstler*innen wird verziehen, sie gelten als das Gewissen der Gesellschaft. Es ist diese Idee des Humors als Gegenpol zur Macht, die auch kulturübergreifend funktioniert. Das Gericht als Ausstellungsort wird sich also mit den Ideen von Legalität und Illegalität und den Forderungen der Künstler*innen auseinandersetzen.
Worin besteht die besondere Atmosphäre des ehemaligen Gerichts?
Das Gebäude hat viele kleine Räume, die wie in einem Tunnelsystem miteinander verbunden sind. Vom Korridor zweigt ein Raum ab, davon der nächste und immer so weiter. Im Zuge der bereits begonnenen Renovierungsarbeiten wurden einige Probebohrungen durchgeführt. Das ganze Gebäude ist von Löchern durchzogen. Wir haben beschlossen, nicht einzugreifen oder das Bauwerk zu verändern, sondern es genauso zu belassen, wie es ist, mit all seiner Patina, den Löchern und Farbspuren an den Wänden und Böden. Wir wollen, dass die Künstler*innen damit arbeiten. Das Raumgefüge ist suggestiv, geradezu kafkaesk, als würde man in eine andere Welt eintauchen. Von einem ehemaligen Gerichtsgebäude erwartet man eine weiträumige Architektur, die die Macht des Gesetzes repräsentiert. Dieses Gebäude aber ist labyrinthisch und spielt mit der Wahrnehmung von Zeit und Raum.
Wie viele Künstler*innen haben Sie zur Teilnahme an der Biennale eingeladen?
Ursprünglich sollten es 56 Künstler*innen sein – wie die Anzahl von Karten in einem Kartenspiel. Inzwischen sind es vielleicht etwas mehr als 60. Alle Werke werden einer bestimmten Choreografie durch das Gebäude folgen. Ich spreche viel mit Choreograf*innen und lerne immer wieder von ihnen. Für mich gibt es so viele Gemeinsamkeiten zwischen der Art und Weise, wie sie über den Bühnenraum und wie Kurator*innen über die Bewegung des Publikums in einem Ausstellungsraum denken.
Das ist eine interessante Beobachtung.
Aber nicht unbedingt eine positive. Sie zeigt, wie sehr wir über die Inszenierung von Ausstellungen nachdenken. Es gibt zwei Möglichkeiten: Meistens haben die Besucher*innen nur einen Weg, um ein Museum zu betreten, und die Ausstellung folgt einer bestimmten Chronologie. Wir können unser Publikum aber auch einen eigenen Weg finden lassen und es zum Nichtstun einladen, zum Lesen, zum Auf-dem-Boden-Liegen oder zum Singen. Das alles passiert in meinen Ausstellungen, und ich hoffe auch hier. Es wird sehr stark von der Einstellung der Kolleg*innen der Vermittlung und den Ausstellungsaufsichten der Biennale abhängen.
Gibt es Künstlerinnen und Künstler, deren Biennale-Teilnahme für Sie von besonderer Bedeutung ist?
Es wird Künstler*innen geben, mit denen ich schon lange zusammenarbeite, und andere, mit denen ich noch nie zusammengearbeitet habe. Es gibt Schlüsselwerke, ohne die das Konzept nicht funktionieren würde. Und dann gibt es vermeintlich kleine Arbeiten, die dennoch entscheidend sind. Solche Werke können eine ganze Etage tragen. Das Schönste ist für mich, wenn man einen Raum betritt, der zu einem spricht. Man versteht die Botschaft allein durch die Art und Weise, wie der Raum gestaltet ist. Es war eine große Freude, mit diesen Räumen zu arbeiten und zu sehen, wie sie Ideen in sich tragen.
Inwieweit werden Sie die lokale Berliner Kunstszene einbeziehen?
In der Ausstellung sind viele in Berlin ansässige Künstler*innen vertreten. Es war für uns wichtig, Kreative einzuladen, die schon seit vielen Jahren in der Stadt leben und arbeiten. Das vermittelt einen Eindruck von den aktuellen Synergien im lokalen künstlerischen Bereich, von den Ansätzen, den Herausforderungen und Schwerpunkten. Es lässt erkennen, wie sich die Dinge in Berlin in Bezug auf kulturelle Praktiken verändert haben. Gleichzeitig ist es aufschlussreich, wie dies auf die Arbeiten von Künstler*innen aus anderen Städten der Welt zurückwirkt, welche Resonanzen oder subtile und unerwartete Querverbindungen zu erkennen sind.
Können Sie uns mehr über Ihr Konzept verraten? Wie genau sieht Ihre Philosophie des Kuratierens aus?
Ich habe eine vielleicht ungewöhnliche Quelle für meine kuratorische Philosophie. Jemand, der mich sehr inspiriert hat, ist der israelische Schriftsteller Adi Ophir, vor allem sein Buch »The Order of Evils: Toward an Ontology of Morals« von 2005. Es gibt viele Parallelen zwischen seiner Art über Ideen nachzudenken, und meinem kuratorischen Ansatz. Auch ist die Art und Weise, wie er darüber schreibt, sehr räumlich. In einer Passage des Buches spricht er von »Konversion«. Nach meinem Verständnis bedeutet Konversion, dass man das System nicht ändern, aber in etwas anderes umwandeln oder übersetzen kann. Für mich geht es beim Kuratieren um diese Art der Umwandlung. Ich sehe die Ausstellung als die beste Methode, um die Zeit zu verlangsamen, um nachzudenken und Entscheidungen zu treffen. So lässt sich vielleicht der Beschleunigung, die uns Technologien wie die Künstliche Intelligenz im Moment aufzwingen, etwas entgegensetzen.
Das Thema der Konversion oder Verwandlung scheint sich auch im gesamten grafischen Auftritt der Biennale zu spiegeln. Wie kam es dazu, dass Sie dafür den Berliner Grafikdesigner Enver Hadzijaj eingeladen haben?
Eigentlich begann es mit einer kleinen Verwechslung. Ich sah etwas im Internet und dachte, es sei sein Entwurf, aber es war nicht von ihm. Wir haben uns in seinem Studio getroffen. Dann schickte ich ihm einen kleinen Absatz über meine Interpretation von Konversion und bat ihn, mir seine Ideen dazu zu schicken. Seine Reaktion hat mir sehr gefallen: Er schrieb über seine Schwester, die während des ersten Balkankrieges in den 1990er-Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland flüchtete. Sie hatte ihren Pass und ihre Dokumente in ihre Unterwäsche eingenäht, um sie zu verstecken und nicht sofort abgeschoben werden zu können. Für mich war diese kleine Geschichte ein perfektes Beispiel für Konversion, eine kompakte Art und Weise, über meine kuratorische Arbeit und die Idee dahinter zu sprechen. Apropos Unterwäsche – dieses Motiv wird uns in der Biennale wieder begegnen.
Im grafischen Konzept erscheinen Füchse und Joker als durchgehende Motive. Welche Bedeutung haben Humor und Ironie für die Biennale?
Das Motiv des Jokers ist von einer speziellen Form des Kabaretts in Myanmar namens »Anyeint« inspiriert, das seinen Ursprung im 19. Jahrhundert hat. In diesem Format tanzt eine schöne Prinzessin, begleitet von einigen Witzbolden, die politische Kommentare zu Problemen des täglichen Lebens abgeben. Es ist sehr lustig und luzide. Während der Diktatur in Myanmar wurde dieser Tanz auf unterschiedliche Weise eingesetzt und entwickelte sich zu einem Hybrid aus Stand-Up-Comedy und Performance-Kunst.
Was meinen Sie mit dem Begriff »foxing« in Bezug auf die Biennale?
Ich habe gelernt, dass es für dieses Wort keine Übersetzung ins Deutsche gibt. Das wusste ich vorher nicht. Ich verwende den Ausdruck sehr oft in meinen täglichen Gesprächen. Es bedeutet so viel wie »jemanden zu verwirren«. Vielleicht ist es indisches Englisch, zumindest ist dieses Wort in Indien recht verbreitet. Der Begriff »foxing« bezieht sich natürlich auch auf all die Geschichten, die uns über Füchse in der Stadt erzählt wurden. »Foxing« klingt nach einer subtilen Art von Humor oder Ironie. Was mich interessiert, ist eher das subversive Potenzial des Humors als Möglichkeit, sich mit Behörden, Politik oder Wirtschaft auseinanderzusetzen. Es geht auch um die Fragen: Wie bewahren wir einen kühlen Kopf, selbst im Angesicht extremer Situationen wie Folter? Was hält uns am Leben? Wie behalten wir unsere Würde, wenn der Verstand aussetzt? Ich glaube, dass Humor uns öffnen kann in Bezug auf das, worüber wir sprechen können oder nicht.
Hat Ihnen ein Buch oder Essay über Berlin besonders geholfen, diese Stadt zu verstehen?
Vielleicht »Luftkrieg und Literatur. Zur Geschichte und Naturgeschichte der Zerstörung« von dem deutschen Schriftsteller W.G. Sebald. In diesen Essays über Literatur und Schriftsteller*innen diskutiert Sebald die deutsche Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs. Und ich möchte für mein Verständnis von Berlin auch die Künstlerin Hannah Höch erwähnen. Ich kenne ihr Haus und ihren Garten.
Während der Nazizeit hat Höch alles in ihrem Garten vergraben, auch ihr gesamtes Werk.
Deshalb wollte ich ursprünglich Haus und Garten als Ausstellungsort in die Biennale integrieren. Es ist für mich sehr typisch für Berlin und repräsentativ für die Idee, unter der Oberfläche der Stadt zu graben.
Während der Nazizeit wurde der Garten auch zu ihrem Versteck. Indem Höch die Pflanzen wachsen ließ, verschwand sie gewissermaßen hinter ihnen.
In ihrem Fall ist das Verstecken klandestin. Im Zusammenhang mit dem Fuchs ist der Begriff der Flüchtigkeit aufgekommen. Das Schöne daran ist die Vorstellung, dass die Dinge eines Tages entdeckt werden. Das ist eine sehr hoffnungsvolle Art zu leben und sich zu verstecken. Ich habe so viele Künstler*innen getroffen, die die Arbeiten ihrer Freund*innen verstecken, um sie zu schützen. Ich selbst halte viele Werke von Künstler*innen versteckt, bis die Zeit gekommen ist, sie zu zeigen und zurückgeben zu können. Diese Idee der Flüchtigkeit wird auch auf der Biennale zu finden sein.
Wie würden Sie die ideale Biennale beschreiben?
Die ideale Biennale gibt es für mich nicht. Aber die Art, wie ich über Biennalen denke, ist vergleichbar mit einer Schachpartie zwischen unterschiedlichen Spieler*innen, Regierungen, Rechtssystemen – und über unsichtbare Linien hinweg. Eine Biennale ist ein einzigartiges Ausstellungsmodell. Sie ist nicht einfach eine weitere Kunstausstellung, sie ist nicht dasselbe wie die Arbeit in einem Museum oder wie die Arbeit im Untergrund, denn es existiert diese seltsame Verbindung zum Tourismus und zur Abhängigkeit von politischen Vorgaben. Eine Biennale ist immer ein Prestigeprojekt, mit der Unterstützung von Regierungen und Institutionen. Aber gleichzeitig gibt es bestimmte Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Diese Grenzen sind oft anders als gedacht. Und das ist für mich die Freude, eine Biennale zu kuratieren: Die akuten Ängste zu entdecken, die gegenwärtig noch verborgen sind, und das Wissen darum weiterzugeben.
Interview: Anne Haun-Efremides, Kito Nedo
Fotos: Jérôme Depierre
13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, 14. Juni bis 14. September 2025, alle Orte und das Programm: 13.berlinbiennale.de