Ein Samurai in Berlin?
Dass auch die jüngere Geschichte Berlins immer noch Überraschungen bereithält, zeigte unlängst ein archäologischer Fund.
Archäologische Ausgrabungen, die in den letzten Jahren in bedeutendem Ausmaß im Berliner Stadtgebiet durchgeführt wurden, holen mittelalterliche und frühneuzeitliche Objekte in die Gegenwart. Besonders am Molkenmarkt und seinem Umkreis, im historischen Zentrum Berlins, traten bei Untersuchungen des Landesdenkmalamtes jüngst etliche Funde zutage, die auch Alteingesessene zum Staunen bringen. Insgesamt konnten auf einer Fläche von 15.000 Quadratmetern bisher rund 600.000 Fundstücke geborgen werden. Antike Objekte aus dem Fernen Osten, etwa Porzellan aus China oder Japan, sind in der Regel kaum dabei. Umso mehr überraschte die Meldung, dass ein Samurai-Schwert gefunden wurde. Im Verfüllschutt eines Kellers war bei archäologischen Baubegleitungen in der Stralauer Straße ein japanisches Kurzschwert aufgetaucht. Das außergewöhnliche Objekt wurde in der Restaurierungswerkstatt des Museums für Vor- und Frühgeschichte gereinigt, konserviert und eingehend untersucht.
Das Schwert ist zwar nur fragmentarisch erhalten, doch die Feinheiten des Schwertschmucks sind noch gut zu erkennen. Eine Scheide konnte nicht mehr nachgewiesen werden und ist wohl durch den natürlichen Zersetzungsprozess sowie einen Brand verloren gegangen, da auch der Griff Brandspuren aufweist.
Das Objekt diente entweder als Kurzschwert (wakizashi) oder als Dolch (tantō). Verschiedene Indizien deuten auf die Einkürzung der Klinge hin, insofern könnte sie älter sein als die Montur mit ihrem Dekor. Letzterer umfasst das Stichblatt (tsuba), die Griffzwinge (fuchi) sowie einen Metallbeschlag (menuki) unter der Griffwicklung. Bedauerlicherweise erschwert die starke Korrosion eine genaue Datierung und eventuelle Rückschlüsse auf einen Schmied, die anhand von Signaturen möglich wären.
Doch Details auf dem Schwertschmuck offenbaren dennoch einige Geheimnisse. Das Stichblatt besitzt eine Vierpass-Form und sein Dekor ist trotz Beschädigungen sehr gut zu erkennen: Chrysanthemenblüten, die auf zarten Wasserlinien schwimmen. Dieses Symbol für Unsterblichkeit ähnelt stilistisch einer um 1600 in Japan etablierten Goldlacktechnik.
Der Erhaltungszustand der Zwinge ist im doppelten Sinne ein wahrer Glücksfall. Darauf ist eine Figur durch ihre Attribute Glückshammer und Reissack deutlich als Daikoku – einer der sieben Glücksgötter – identifizierbar. Er sitzt in einem Boot mit Paddel, seitlich von Schilf oder Bambus begrenzt. Die Zwinge wurde wahrscheinlich aus shakudō, einer Legierung aus Kupfer und Gold hergestellt. Der Hintergrund ist mit einem feinen Punzen-Muster verziert. Wäre der Knauf ebenfalls erhalten geblieben, wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Motiv zu sehen gewesen, das in engem Zusammenhang mit dem Glücksgott steht.
Der restliche Griff ist zwar stark beschädigt, aber erstaunlicherweise sind dennoch Fragmente der Schnürung und sogar der darunter befindlichen Rochenhaut vorhanden. Eines der beiden menuki, auch mit dem Motiv der Chrysantheme, ist ebenfalls zu erkennen. Anhand des Zierrats, insbesondere der Kombination von Stichblatt und Zwinge, ist zu vermuten, dass es keine Originalmontierung wiedergibt, sondern dass ein Kunsthändler das Ensemble zusammenstellte.
Beide Motive stehen nicht in Bezug und unterscheiden sich auch stilistisch stark voneinander. Bei einer hochwertigen Schwertmontur ist solch eine Komposition eher unwahrscheinlich. Damit ist eher auszuschließen, dass das Schwert einst ein diplomatisches Geschenk war.
Doch wie kam es in die Stralauer Straße? Die Antwort steht bislang aus. Da der Schutt, in dem das Schwert gefunden wurde, höchstwahrscheinlich von dem kriegszerstörten Haus Nr. 7–9 oder den Nachbarhäusern stammt, könnte es einem der Anwohner gehört haben. Das letzte Einwohnerverzeichnis kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs liefert allerdings keine unmittelbaren Indizien zu Personen mit Verbindungen nach Japan. Das Kurzschwert könnte als Mitbringsel oder Sammlerstück nach der Landesöffnung Japans zwischen 1860 und 1880 oder später nach Europa gelangt sein. Diese Theorie wird durch einen weiteren kleinen Beifund gestützt: eine Schmuckscheibe mit Drachenmotiv, deren Herkunft weiterer Untersuchung bedarf.
Text – Alexandra Weber (Kuratorin, Samurai Museum), Anica Kelp (Restauratorin, Staatliche Museen Berlin), Bertram Faensen (freiberuflicher Archäologe)