Bombastische Spektakel
In der Selbstdarstellung des höfischen Lebens war Pyrotechnik der explosive Höhepunkt. Eine Kulturgeschichte des Freudenfeuerwerks.
Feuerwerke sind laut und bunt, kurzweilig aber inhaltsleer. Sie machen Eindruck – wenn auch nur für den Augenblick. Pyrotechnik ist dafür gemacht, effektvoll an sich selbst kaputt zu gehen. Was von ihr bleibt, sind Dreck und Müll. Siegfried Sieber, Pädagoge und Heimatforscher, stellt 1912 in den Deutschen Geschichtsblättern lakonisch fest: »Feuerwerke gehören mit zu dem zahlreichen Kuriositätengerümpel, das die Kulturgeschichtsschreibung nirgends recht unterzubringen weiß«.
Das mag bis heute so sein; gut dokumentiert ist allerdings, dass überbordende Freudenfeuerwerke im absolutistischen Europa Hochkonjunktur hatten. Feuerwerke bildeten Höhepunkt und krönenden Abschluss jeder Feierlichkeit an den Höfen: ob zu Geburt, Taufe, Eheschließung, ehrenvollem Besuch, zur Gesundung des Königs oder zu einem Friedensschluss, Vertragsunterzeichnungen, besiegelten Bündnissen oder auch zu wiederkehrenden Jahrestagen wie Karneval, Ostern, Pfingsten, Peter und Paul und Johannistag. Feuerwerke zum Jahreswechsel wurden hingegen erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts populär.
Feierlichkeiten waren im Absolutismus keineswegs lediglich Beiwerk oder Zierrat. Für die höfische Gesellschaft waren Feste konstituierend. Inszenierungen bildeten ein zentrales Instrumentarium für die Selbstlegitimation absolutistischer Herrschaft im effektvollen Zurschaustellen mit ästhetischen Verfahrensweisen wie Performanz, Illustration und Narration. Wettkämpfe, festliche Unterhaltung, prächtig geschmückte Tafeln, Ballett und Musik, Tanz und Spiele, theatrale Darbietungen – oft in Gleichsetzung des Herrschers mit antiken Gottheiten – dienten dazu, den Anspruch auf absolute Macht zu stabilisieren. Zur Verstärkung der Wirkkraft solcher Inszenierungen wurden Schein und Illusion, Trug und Täuschung in ritualisierte Abfolgen integriert, um das Publikum zu blenden und zu überwältigen. Das dichte Aneinanderreihen von immer neuen Effekten, die akustische und visuelle Reizüberflutung und blanker ökonomischer Wahnsinn waren dabei zugleich die Mittel, mit denen konkurrierende Herrschaftshäuser untereinander einen ambitionierten Wettstreit austrugen, was sie in eine Spirale des gegenseitigen Übertrumpfens führte.
Die fortwährende Verfeinerung von Mechanismen zur Überwältigung und das ruinöse Wettrüsten der Effekthascherei zwischen den Höfen kulminierten in aufwendigen Feuerwerksinszenierungen. Dementsprechend kam der Pyrotechnik in der Selbstdarstellung des höfischen Lebens eine sehr wichtige Rolle zu. Vom 16. bis 18. Jahrhundert bildeten Feuerwerksaufbauten eine autonome Gattung innerhalb der vorrangig ephemeren Festarchitektur. Barocke Feuerwerke waren technisch herausfordernde, monatelang vorbereitete, skrupulös durchgeplante, enorm kostspielige Ereignisse und – im Moment der Aufführung – schlichtweg bombastische Spektakel. Zahlreich überlieferte Stiche machen die enorme Bandbreite und Vielfalt der höfischen Feuerwerke bis heute detailreich anschaulich.
Die Ausstellung »Durchgeknallt und abgebrannt. Feuerwerkskünste aus fünf Jahrhunderten« der Kunstbibliothek im Kulturforum setzt durch die Fülle ihrer Bestände einen Schwerpunkt in der Barockzeit mit über 70 Einblattdrucken und 40 Feuerwerksbüchern aus der Ornamentstichsammlung und der Lipperheideschen Kostümbibliothek. Die Kupferstiche waren Teil von Berichten über die jeweiligen Festabende und wurden umfangreich verlegt und verbreitet. Verknüpfte Textverweise verstärkten den Bildeindruck und gaben detailgetreu Auskunft über den Ablauf von Feuerwerksaufführungen. Die schiere Fülle, der Detailreichtum und die komplexe Anordnung der verdichteten Bildelemente in der Fläche faszinieren das Publikum noch heute. Jahrhunderte vor der Entwicklung des Bewegtbilds war es den bildenden Künstlern gelungen, zeitliche Abfolgen im Medium Kupferstich anschaulich darzustellen.
Ein historisches Beispiel liefern Heidelberger Hochzeitsfeierlichkeiten im Juni 1613: Die Ehe zwischen dem Kurfürsten Friedrich V. und Elisabeth Stuart, der englischen Prinzessin und einzigen Tochter von Jakob I., König von England und Irland war bereits am 14. Februar in der Kapelle des Whitehall Palace in London geschlossen worden. Die Verbindung zwischen England und der Kurpfalz stärkte dabei das protestantische Lager gegenüber den katholischen Habsburgern. Um das eindrucksvoll zu unterstreichen, gab es am 9. Juni 1613 ein großes Spektakel auf dem Neckar. Die Kunstbibliothek besitzt sowohl einen Einblattdruck dieses Ereignisses als auch eine kolorierte Fassung. Auf drei schwimmenden Plattformen waren zur Feier der Hochzeit drei Feuerwerksschlösser aufgebaut. Mittig positioniert stand das größte Schloss mit quadratischem Grundriss, Ecktürmen und Kuppelbau. Die seitlichen Schlösser – ebenfalls aus Holz und Pappe – fielen etwas kleiner und schmaler aus. Als aus allen Schlossaufbauten Raketen in den schwarzen Nachthimmel aufstiegen und im Wasser Bomben brannten, wurde von den Ufern und der Holzbrücke aus das Feuer eröffnet. Unter ohrenbetäubendem Getöse wurden die Feuerwerksschlösser so in die Luft gejagt. Fünf Jahre nach dieser bombastischen Machtdemonstration nahm Kurfürst Friedrich V. die böhmische Königskrone an, was eine Provokation des Habsburger Kaisers Ferdinand II. darstellte und die erste Phase des Dreißigjährigen Kriegs auslöste.
Sein faktisches Ende fand der Dreißigjährige Krieg zwei Jahre nach dem Westfälischen Frieden auf dem Nürnberger Exekutionstag zwischen April 1649 und Juli 1650 – was wiederum den Anlass für ein Großfeuerwerk bot. Oberbefehlshaber Octavio Piccolomini ließ für den 14. Juni 1650 ein fulminantes Feuerwerksschloss auf dem Johannisschießplatz vor den Toren Nürnbergs errichten. Im rechten Bildteil des Kupferstichs dominiert das Schloss mit Kuppelbau und vier Ecktürmen. Über dem Schloss explodieren zahlreiche funkensprühende Raketen, die im starken Kontrast zum nachtschwarzen Himmel hervortreten, in ihrer Helligkeit einen großen Teil des Bildraums einnehmen und das Schloss regelrecht niederzudrücken scheinen. Der Ausgangspunkt des pyrotechnischen Schauspiels liegt jedoch in der linken Bildhälfte: Vor dem Haupteingang der temporären festlichen Zeltarchitekturen zündete der Gastgeber Piccolomini, der zusammen mit Pfalzgraf Karl Gustav Hauptverhandlungsführer war, einen kleinen geflügelten Amor. Dieser sorgte dafür, dass die Bienenschwärmer und Raketen rund um die Friedenssäule im Zentrum in Gang gesetzt wurden. Einige Kämpfer mit Feuerschwertern versuchten noch das Schloss zu verteidigen und verstärkten damit die Wirkung des Spektakels. Schließlich fuhren tausende Raketen und spanische Reiter auf das Schloss los, die personifizierte Zwietracht, Discordia, und der Kriegsgott Mars am Portal des Schlosses gingen im Getöse und Funkenregen der Detonationen unter. Der Krieg wurde in dieser Inszenierung mit seinen eigenen Mitteln geschlagen – und eine Säule des Friedens erstrahlte. Durch die bildliche Darstellung und Vervielfältigung des choreografierten Feuerwerks im Kupferstich konnte das Ende des Kriegs anschaulich und wirkungsvoll als Nachricht verbreitet werden.
Die künstlerische, mediengeschichtliche und historische Bedeutung der Kupferstiche als Einzelblätter und im Buchdruck wird im Ausstellungsraum in unterschiedlichen Aspekten beleuchtet und vielfältig in Beziehung gesetzt: vom Feuerwerk als internationales Phänomen bis zum Einsatz von Pyrotechnik in der zeitgenössischen Kunst. Die Janusköpfigkeit von Krieg und Frieden, Gewalt und festlicher Atmosphäre, Eindrücklichkeit und Zerfall, zwischen dem Zauber eines Augenblicks und den verheerenden Folgen rückhaltloser Verschwendung schwingt dabei jeweils mit.
Ein zeitgenössisches Exponat ist eine großformatige Fotografie – ein sogenanntes Raketogramm – mit dem Titel »Rafael Shafrir« des Heidelberger Künstlers Daniel Tobias Braun. Shafrir ist die erste Luft-Luft-Lenkrakete, die durch das staatliche Rüstungsunternehmen Rafael in Israel entwickelt wurde. Die enorme Zerstörungsgewalt von zu militärischen Zwecken eingesetzter Hochtechnologie steht hier einer kraftvollen ästhetischen Erfahrung gegenüber. Der Reiz des pyrotechnischen Materials, das eruptive Farbfeldmalerei auf dem Trägermaterial hinterlässt, und die Kriegsmaschinerie mit der ihr inhärenten Logik des Tötens, die der Titel aufruft, stehen in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis.
Die Stahlskulptur der Künstlerin Sandra Kranich enthält Schmauchspuren und mutet bereits durch ihre schweren Kanten und Nieten kriegerisch an. Zugleich wohnt ihr eine gewisse Absurdität inne: Assoziationen von ineinander verschlungenen Resten spanischer Reiter und anderem Kriegsschrott scheinen hoffnungslos verkeilt. Die pyrotechnische Behandlung des Stahls im Schaffensprozess verstärkt die befremdliche Wirkung dieses Sich-Abarbeitens am explosiven Zusammenhang von Irrsinn und Krieg.
Angesichts der steigenden Zahl weltweiter Kriege und Konflikte und der unnötigen Gefahren sowie der Lärm- und Umweltverschmutzungen, die mit konventioneller Pyrotechnik zwangsläufig verbunden sind, werden Sinn und Unsinn von Feuerwerk kontrovers diskutiert. Kooperationspartnerinnen der Ausstellung „Durchgeknallt und abgebrannt“ sind die Gesellschaft für Deutsch-Chinesischen kulturellen Austausch und die Deutsche Umwelthilfe, die sich für ein Verbot von Pyrotechnik als Massenprodukt einsetzt. Das gemeinsam entwickelte Begleitprogramm zur Ausstellung nimmt kulturgeschichtliche Zeugnisse über Feuerwerke zum Anlass, um über historische, aktuelle, alternative, stimmige und innovative Formate der Festkultur nachzudenken.
Text – Maren Wienigk, Leiterin Sammlung Architektur und Ornamentstichsammlung der Kunstbibliothek
»Druchgeknallt und abgebrannt.Feuerwekskünste aus fünf Jahrhunderten«
Bis 9. Februar 2025
Kunstbibliothek / Kulturforum