Austausch mit der Gegenwart

Eröffnung der Ausstellung »Daido Moriyama. Retrospective«, 2023 © David von Becker
Museumsjournal 4/25
Vor 25 Jahren wurde C/O Berlin, das Ausstellungshaus für Fotografie und visuelle Medien gegründet 

C/O Berlin entstand in einer Zeit, in der sich die Stadt neu erfand. Mitte der 1990er-Jahre war Berlin ein Ort im Schwebezustand, mit leeren Fabrikhallen, aufgerissenen Straßen und ungewisser Zukunft. In den Lücken zwischen den Systemen entstanden Räume, die ebenso provisorisch wie voller Möglichkeiten waren. In diesem offenen Zwischenraum trafen wir drei Gründer aufeinander. Ich hatte während der fotografischen Dokumentation des Reichstagsumbaus Ingo Pott kennengelernt, einen jungen Architekten aus dem Team von Sir Norman Foster. Über ihn kam der Kontakt zu Marc Naroska zustande, einem Designer, dessen Agentur für das Foster-Büro arbeitete. Uns verband ein gemeinsames Interesse am interdisziplinären Arbeiten sowie die Leidenschaft für Fotografie. Wir teilten den Wunsch, dem Medium einen festen Platz in der Stadt zu geben. Neben unseren beruflichen Aktivitäten sollte ein Ort für generationenübergreifenden Austausch über Bilder entstehen. Ein Projekt, das wir ehrenamtlich und aus privatem Engagement heraus initiierten, ganz ohne institutionellen Rahmen. Wichtig war uns ein ganzheitlicher Ansatz, der Ausstellungskonzeption, Raumgestaltung, visuelle Kommunikation und Vermittlung zusammendachte. Dieses Verständnis prägte von Anfang an auch die Idee eines Forums für Debatten, Nachwuchsförderung und Austausch.  

Die Geschichte von C/O Berlin begann im ehemaligen Berliner Postfuhramt, einem neoklassizistischen Bau in Mitte. Im Jahr 2000 bezogen wir dort eine leerstehende Etage, zunächst ohne kuratorische Erfahrung und langfristigen Plan. Mit viel Enthusiasmus und einem kleinen Team eröffneten wir im Juli 2000 unsere erste Ausstellung »Magnum°. Betrachtungen über die Welt«.  

Der überwältigende Publikumserfolg motivierte alle Beteiligten, weitere Ausstellungen zu organisieren. Da die ursprünglichen Räume im Postfuhramt nur übergangsweise nutzbar waren, zogen wir bereits nach wenigen Monaten in eine alte Gießerei in einem Hinterhof der Linienstraße, die Ingo Pott umbaute. Dort entstanden gestalterische Möglichkeiten, die das provisorische Format weiterentwickelten. Aus dem Geist der Begegnung wurde auch »C/O Talents« geboren – das einzige Förderprogramm in Europa, das Fotograf*innen und Theoretiker*innen in Tandems zusammenbringt und neue Perspektiven auf Fotografie fördert. Bis 2006 zeigten wir in der Linienstraße international bekannte Fotograf*innen wie Elliott Erwitt, James Nachtwey oder René Burri. Der große Publikumserfolg kam 2005 mit der improvisierten Ausstellung »Anton Corbijn. U2 & i«, die anlässlich des U2-Konzerts in Berlin entstand. Die Resonanz war so überwältigend, dass der Bezirk Mitte aufgrund des Publikumandrangs die Nutzung des Gebäudes untersagte. Das Haus war dem Ansturm nicht gewachsen. Die Partys waren legendär, was sich bis heute nicht geändert hat.  

Die Suche nach einem neuen Ort führte zurück ins Postfuhramt, das inzwischen an einen privaten Eigentümer mit der Auflage einer kulturellen Nutzung verkauft worden war. Neun Jahre nach der Gründung kam dort der erste wirklich große Durchbruch: »Annie Leibovitz. A Photographer’s Life. 1990–2005«. Die Menschen standen Schlange, Medien berichteten landesweit, C/O Berlin war angekommen. Es folgten Ausstellungen von Sibylle Bergemann und Gregory Crewdson, die das Spektrum zwischen dokumentarischer Bildsprache und inszenierter Fotografie sichtbar machten. Internationale Fotograf*innen wie William Eggleston, Robert Frank, Nan Goldin, Susan Meiselas, Irving Penn, Peter Lindbergh und Bettina Rheims fanden in den Folgejahren ihren Weg nach Berlin und mit ihnen ein wachsendes Publikum, das sich für künstlerische Fotografie ebenso interessierte wie für dokumentarische, journalistische oder experimentelle Formate. 

Die vielen Ortswechsel von C/O Berlin sind Teil der Berliner Geschichte jener Jahre, die von Zwischennutzung, Eigeninitiative und dem Gestaltungswillen, aus Provisorien neue Möglichkeiten zu schaffen, geprägt waren. 

Was C/O Berlin von Anfang an auszeichnete, war die Balance zwischen bekannten Positionen und überraschenden, neuen Perspektiven. Ikonen wie Sebastião Salgado oder Linda McCartney trafen hier auf junge Stimmen wie Sibylle Fendt oder Andy Spyra, die erstmals institutionell gezeigt wurden. Für viele waren sie eine bereichernde Neuentdeckung. Das Ausstellungshaus entwickelte sich zu einem Ort, an dem neue Bilder und Erzählungen zirkulierten und Fotografie als gesellschaftlich wirksames Medium verhandelt wurde. 

Auf der Suche nach einem dauerhaften Standort sichteten wir rund 70 Gebäude, bevor C/O Berlin 2013 im Amerika Haus in Charlottenburg sein bleibendes Zuhause fand. Mit dem Einzug begann ein neues Kapitel, die jahrelange Übergangsphase war beendet. Das Haus war in den 1950er-Jahren als US-Kulturzentrum nach Plänen von Bruno Grimmek entstanden. Architekt:innen, Designer:innen und das Team von C/O Berlin sanierten das denkmalgeschützte Gebäude in enger Zusammenarbeit. Im Oberlichtsaal lagen noch Teppichreste über dem originalen Solnhofener Kalksteinboden, im Foyer hingen schwere Rollgitter, die Fenster waren vernagelt. Schicht für Schicht wurde die ursprüngliche Architektur freigelegt. Auch der Zaun, der das Haus über Jahrzehnte vom Stadtraum abgrenzte, verschwand, um physische und symbolische Barrieren aufzuheben. Als das Baugerüst fiel, war das Haus endlich wieder der Öffentlichkeit zugänglich. Der Bund Deutscher Architekt:innen zeichnete C/O Berlin für die behutsame Sanierung und Revitalisierung mit dem BDA Preis Berlin aus. Mit dem neuen Standort öffneten sich internationale Perspektiven, unter anderem dank professioneller Sicherheitsstandards konnten erstmals Leihgaben aus renommierten Museen wie dem MoMA und dem MET in New York, der Tate Modern in London oder dem Jeu de Paume in Paris gezeigt werden. 

Auch programmatisch hat sich die Institution seit dem Einzug ins Amerika Haus weiterentwickelt. Hatte C/O Berlin in den Anfangsjahren noch einen klaren Fokus auf die erzählerisch-dokumentarische Fotografie, so traten zunehmend künstlerische und experimentelle Positionen hinzu. Neben monografischen Ausstellungen stehen nun verstärkt thematische Gruppenformate, wobei Nachhaltigkeit, gesellschaftliche Verantwortung und marginalisierte Perspektiven eine wachsende Rolle spielen. Wir verstehen Fotografie als Medium der Forschung und Reflexion und haben dafür neue Formate ins Leben gerufen, zuletzt den »After Nature. Ulrike Crespo Photography Prize« in Kooperation mit der Crespo Foundation. Zunächst verantwortete Felix Hoffmann das kuratorische Programm. Er prägte die inhaltliche Konzeption des neuen Standorts im Amerika Haus maßgeblich und entwickelte sie später gemeinsam mit Ann-Christin Bertrand und Kathrin Schönegg weiter. Seit 2023 liegt die künstlerische Leitung in den Händen von Sophia Greiff und Boaz Levin, die die Ausrichtung um gesellschaftspolitische und transdisziplinäre Perspektiven erweitern. 

C/O Berlin möchte im Austausch mit der Gegenwart bleiben, indem es vermittelt, inspiriert und diskutiert. Ein Ort, der den interdisziplinären Blick auf die Kultur, die Gesellschaft und das Medium wachhält. Ein Raum für Nachwuchs, für neue Themen und für kritische Auseinandersetzung, der trotz wachsender Professionalisierung seine Spontaneität und familiäre Zugewandtheit nicht verliert. Und der sich auch nach 25 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und verändert. Aus derselben Haltung heraus, mit der alles begann: Aus dem Wunsch, Bilder nicht nur zu zeigen, sondern zu verstehen, was sie sagen und sie einzuordnen. C/O Berlin will ein Ort sein, an dem dieser Prozess gelebt wird. 

 

Text Stephan Erfurt, Vorstandsvorsitzender C/O Berlin Foundation 

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