Der Pudel Herrn  

General Idea, »Fin de Siecle«, 1990, Installation aus drei Sattelrobbenstofftieren (Acrylplüsch, Augen, Schnurrhaare, Nase und Füllung aus Kunststoff), mindestens 300 EPS-Platten in drei Dicken, Beleuchtung mit kühl-weißem künstlichen Tageslicht, Gesamtabmessungen der Installation variabel, Installationsansicht Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, 1992, Foto: Reinhardt Truckenmuller.
MuseumsJournal
General Idea war seiner Zeit stets weit voraus. Jetzt geht die Kunst des subversiven Trios endlich auch in Berlin viral

General Idea hat das Verhältnis von Kunst, Medien und Aktivismus im Kontext der Aids-Krise neu definiert. Nun präsentiert der Gropius Bau die erste Retrospektive der wegweisenden Künstlergruppe in Deutschland. Die Ausstellung, die in engem Austausch mit dem seit 2013 in Berlin lebenden Gründungsmitglied AA Bronson konzipiert wurde, zeichnet über fünfzig Jahre des einzigartigen künstlerischen Schaffens von General Idea nach, von ihren Anfängen 1969 in Toronto über ihr vorzeitiges Ende 1994 bis hin zum Nachwirken ihrer Praxis in der Gegenwart. Mit fast 200 Werken, darunter die subversiven und ikonischen Skulpturen und Installationen, Malereien, Videos, Publikationen sowie Archivmaterial, Tapeten und Logos, ist es die bisher umfassendste Überblicksschau des Künstlertrios, entwickelt in Zusammenarbeit mit der National Gallery of Canada und dem Stedelijk Museum Amsterdam.  

 

General Idea, »Mondo Cane Kama Sutra«, 1984, fluoreszierende Acrylfarbe auf Leinwand, 246,4 × 290,8 × 10,2 cm. © Collection Hartwig Art Foundation.

General Idea begann als Gruppe von Freund*innen, die sich im Sommer 1969 in Toronto, Kanada, zusammenfand und gemeinsam lebte und arbeitete. Durch ein Missverständnis kam sie im folgenden Jahr zu ihrem Namen – »General Idea« war ursprünglich der Titel eines ihrer Werke. Als dieses 1970 im Rahmen der Ausstellung »Concept 70« in der Nightingale Gallery (heute A Space) in Toronto gezeigt wurde, hielten die Organisator*innen den Titel für den Namen der Gruppe: eine Zuweisung, die dem Selbstverständnis der Künstler*innen – ein genderdiverses Kollektiv – entsprach. 1973 hatte sich General Idea als Trio etabliert: AA Bronson, Felix Partz und Jorge Zontal. 25 Jahre lang bestanden sie darauf, dass drei Köpfe besser seien als einer. 

General Idea erfand fiktive Identitäten und Geschichten für sich selbst, spielte mit Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität und adaptierte Formate aus der Popkultur wie Schönheitswettbewerbe und Talkshows. Auf diese Weise setzte sich das Trio mit Themen auseinander, die den heutigen fluiden Umgang mit sexuellen und geschlechtlichen Identitäten, digitalen Avataren, sozialen Medien und Reality-TV vorwegnahmen. Das Werk von General Idea ist bis heute ein ermutigendes Zeugnis für die radikalen Möglichkeiten der künstlerischen Kollaboration. 

Nach dem Aufkommen von Performance und konzeptueller Kunst in den 1970er-Jahren wurde die Malerei von vielen in der Kunstwelt als konservatives Medium betrachtet, das sich dem Markt anbiedere: Gemälde ließen sich leichter verkaufen. General Idea beteiligte sich an diesen Debatten und verwendete Malerei subversiv, indem sie ein traditionelles Format wählte, um provokative Inhalte vorzubringen: schwules Begehren und Sex. General Ideas Malereien »Mondo Cane« – die orgiastische Pudel in verschiedenen Sexstellungen zeigen – referieren auf die Protractor-Gemälde von Frank Stella aus den späten 1960er-Jahren. Während Stellas Arbeiten streng geometrisch waren, wandte sich General Idea der figurativen Malerei mit sexuellen Anspielungen zu. Als Wachhunde und schwule Begleiter können die Pudel auch als Avatare der Künstler verstanden werden. Der Raum mit allen zehn Bildern der Serie »Mondo Cane Kama Sutra« (1984) wird nur im Gropius Bau gezeigt. 

Im Jahr 1986 zog General Idea von Toronto nach New York. Nach seinem Erfolg in Europa wollte das Trio mit dem Ortswechsel den Kontakt zu internationalen Galerist*innen, Kurator*innen und Sammler*innen aufrechterhalten. Während General Idea auf dem Höhepunkt ihres künstlerischen Erfolgs stand, befand sich die queere Community in New York in einer schweren Krise. Konfrontiert mit der zerstörerischen Aids-Epidemie in der Stadt, schuf General Idea im Juni 1987 ihr erstes Gemälde, das sich das Design der Arbeit »Love« (1964) des Pop-Art-Künstlers Robert Indiana aneignete. Die vier Buchstaben ersetzte das Trio durch das Wort »Aids« – ähnlich wie es im Jahr 1972 die Zeitschrift »Life« als »File Megazine« adaptiert hatte. Das Projekt »Imagevirus« erreichte seine größte Sichtbarkeit und Wirkung jedoch nicht als Gemälde in einer Galerie, sondern in Form von Postern und Plakatwänden auf der Straße. »Ins Herzblut der Kommunikation, Werbung und Transportsysteme injiziert«, schrieb AA Bronson später, habe es sich »wie ein Virus im öffentlichen Raum verbreitet«. Bis heute ist es eines der sichtbarsten und umfangreichsten Projekte der Gruppe. Fast alle dieser Werke wurden noch vor Felix Partz’ und Jorge Zontals eigenen HIV-Diagnosen realisiert: Partz erfuhr im Januar 1990 von seiner Infektion, Zontal später im selben Jahr.  

 

General Idea, »P is for Poodle«, 1983/89, Lack auf Vinyl, 200 × 160 cm. © Royal Bank of Canada Art Collection.

Zu dieser Zeit entstand auch die Installation »Fin de siècle« (1990), die den Lichthof des Gropius Baus einnimmt. Im Zentrum ruhen drei künstliche Plüsch-Robbenbabys auf einem bühnenartigen Eisblock aus Styropor: »eine Meerlandschaft in totalem schneeblindem Weiß. Ein gewaltiges Trugbild aus zerklüfteten Eisschollen […] ein Trio weißer Robbenbabys […] wie tiefgekühlte amphibische Schneepudel.« Das Setting erinnert an Caspar David Friedrichs »Das Eismeer« (1823/24) und versteht sich als ironisches Selbstporträt der drei Künstler, die sich in einer kritischen Lage befanden. Das Werk, das zu den komplexesten und größten Installationen der Gruppe gehört, wirft ein kritisches und buchstäblich kaltes Licht auf die große Aufmerksamkeit, die damals den angeblich gefährdeten Robbenbabys, gegen deren Abschlachten unter anderem Brigitte Bardot in einer Kampagne öffentlichkeitswirksam protestierte, zuteil wurde – im Gegensatz zu der fehlenden Empathie für Menschen, die in den 1980er-Jahren mit HIV lebten und an den Folgen von Aids starben. »Es ist einfacher, ›Rettet die Robben‹ zu verkaufen […], weil sie niedlicher sind als drei Homosexuelle mittleren Alters«, schrieb Zontal über das Werk. Damit stellt »Fin de siecle« die drastische Frage, welches Leben als schützenswert gilt – eine Frage, die in Anbetracht anhaltender Krisen wie der Covid-Pandemie, des Sterbens an den europäischen Außengrenzen, rassistischer Polizeigewalt und der Klimakatastrophe keineswegs an Dringlichkeit verloren hat.   

Die Frage nach dem Verhältnis zum Gedenken im öffentlichen Raum stellt ein weiteres Werk der Aids-Serie: Vor dem Gropius Bau findet sich eine große, neue »Aids Sculpture«. Die erste ihrer Art wurde 1989 geschaffen, und dennoch scheint es, als wären die Strategien des Brandings und der viralen Bildzirkulation unserer heutigen Aufmerksamkeitsökonomie bereits bei der Konzeption berücksichtigt worden. Die exponierte Position lädt dazu ein, Notizen, Graffiti, Aufkleber oder andere Markierungen zu hinterlassen. Anstatt diese Eingriffe als Vandalismus zu kriminalisieren, werden sie zum partizipativen Moment der Arbeit und machen die Skulptur so zu einem Speicher, der die Spuren des Lebens in Berlin trägt und mit der fortbestehenden Präsenz von HIV/Aids konfrontiert. Entscheidend ist, dass die heutigen Behandlungsmöglichkeiten das Leben mit HIV drastisch verändert haben – für diejenigen, die Zugang zum Gesundheitssystem haben. 

»Als General Idea erstmals 1982 in Berlin ausstellte, waren wir uns des legendären queeren und anarchistischen Undergrounds der Stadt bewusst. […] Seitdem ich 2013 dauerhaft nach Berlin gezogen bin, habe ich die lange Tradition aktivistischer Basisbewegungen hier erleben können, die von unterschiedlichen Communitys der Stadt initiiert und getragen werden – darunter auch Aids-Aktivismus. Vieles von dem, was wir damals gesehen haben, existiert immer noch, und ich kann die Energie und Präsenz dieser Geschichte in unserer Gegenwart spüren«, sagt AA Bronson. 

Die Nachwirkungen und die Bedeutung der mutigen und erfindungsreichen Arbeit von General Idea sollte nicht unterschätzt werden. Indem es sowohl die heteronormative Deutungshoheit als auch die Omnipräsenz der Konsumkultur infrage stellte, ebnete das Trio den Weg für weitere Praktiken der Infiltration und Subversion der Kunstwelt. Partz und Zontal starben 1994 an den Folgen ihrer Aids-Erkrankungen. Die Werke der letzten Periode, die den Kanon der Kunst konsequent herausgefordert und vielleicht sogar verändert haben, spiegeln den intimen Charakter, die Freundschaften und den Spott der frühen Anfänge der Gruppe wider. General Idea hat verdeutlicht, wie kühn disziplinenübergreifend eine Praxis sein kann und wie die Bedeutung der Kunst, ja sogar ihre Existenz, von denen definiert werden kann, die sie produzieren und wahrnehmen. Die künstlerischen Mittel des Selbstausstellens, der partizipativen Performance und der kritischen Bildanalyse haben vielen zeitgenössischen Künstler*innen Möglichkeiten aufgezeigt, Geschichten anders zu erzählen und sich mit Gleichgesinnten zu verbünden, um gemeinsam eine fluidere, kollektivere Welt zu imaginieren. 

 

Text – Zippora Elders, Leitung Kuratorische Abteilung und Outreach, Christopher Wierling, kuratorische Redaktion 

 

»General Idea«
bis 14. Januar 2024
Gropius Bau
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